Public Netbase:
Non Stop Future

New Practices in Art and Media

Non Stop Future Cover

Editors: Branka .ur.i., Zoran Panteli. / New Media Center_kuda.org

Published 2008

Publisher: Revolver - Archiv für aktuelle Kunst

ISBN: 978-3-86588-455-8

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Andreas Broeckmann

Blick auf Wiener Zukunftsruinen

Ein Kommentar aus Berlin zur Wiener Kulturpolitik

Wie sich die Zeiten ändern! Vor zehn Jahren waren wir blass vor Neid, wenn wir von Berlin aus in die medienkulturellen Stadtlandschaften Wiens blickten - was da alles möglich war! Medienkunst, kreative Spinner und kritische Medienprojekte allenthalben; als der öffentlich-rechtliche Rundfunk neugierig auf die freien Radios schielte, als Museen sich mit dem Unvorhersehbaren schmückten und das künstlerische-akademische Treibhaus schönste, wunderlichste Blüten und Persönlichkeiten hervorbrachte. Wenn man eine Dekade später die letzte Kirsche von der abgegessenen Torte herunterschnippen will, dann schließt man Public Netbase, - oder macht es jedenfalls unmöglich, dass dort weiter gearbeitet wird.

Die Netbase war seit Mitte der 90er eine der international angesehendsten Plattformen für ein kritisches Nachdenken über Medien und die Entwicklungen der Kunst im Zeitalter der Information. Stolz vermerken diejenigen, die den internationalen Diskurs über das Politische in den sogenannten 'Neuen', digitalen Netzwerkmedien getragen haben, die Lovink, Wark, Kurtz, Fielding, Holmes, Fuller, die Wilson und Druckrey, wenn sie ihre Idee auf Veranstaltungen von Public Netbase diskutieren konnten. Über den reinen Netzwerkprovider schon früh hinausgewachsen, zeigte das immens wichtige Projekt 'World-Information.Org' seit 2000, wie dringend wir alle die kritische und intelligente, nachbohrende Begleitung einer abgedrehten Medienwelt brauchen, um die Informationsgesellschaft überhaupt noch demokratisch gestalten zu können. Von markanten Gesten wie dem 'Nikeplatz' oder den bio-kritischen Performances des Critical Art Ensemble ganz zu schweigen. Und das Wiener Publikum am Puls der Weltzeit.

Ein solches Projekt muss hart am Wind segeln und riskiert passionierte Freund- und Feindschaften. Aber eine kluge Medienpolitik erhält sich Strukturen wie diese, um frühzeitig auf Veränderungen in dem aufmerksam werden zu können, was KünstlerInnen tatsächlich oft Jahre vor dem Rest der Gesellschaft wahrnehmen und formulieren. Es braucht Orte, an denen der internationale Diskurs sich lokal manifestieren kann, an denen mit technischen Systemen experimentiert und mögliche Folgen spielerisch forciert werden können. Dass die stolze Stadt Wien sich selbst der Netbase beraubt und, wie es scheint, die Förderung kritischer Medieninitiativen überhaupt auf Projektalmosen beschränken will, zeigt den dezidierten Willen, sich den Herausforderungen einer Zukunft nicht stellen zu wollen, die von digitalen Systemen in komplexesten Verschaltungen bestimmt sein wird.

Wer wird fortan die maßgebenden Konferenzen über neue Formen der kreativen Netzwerkkommunikation, über Urheberrechtsnovellen und über die neuen 'Dritten Welten' des Informationszeitalters organisieren? Die Ars in Linz, stets bemüht, ihr kritisches Potenzial hinter pro-amerikanischen Populismus und gespielter Technikeuphorie zu verbergen, wird diese Lücke kaum füllen wollen.
Rhetorisch wäre es jetzt wunderbar, sagen zu können: geh, Wien, schau aber doch mal auf die da drübn! Leider fahren selbst im gelobten Land der Medienkultur, in den Niederlanden, die entsprechenden Einrichtungen mit der Handbremse einer zutiefst verunsicherten, nicht zukunfts- sondern gegenwartsängstlichen Gesellschaft. In Helsinki zählt die Nokia-Gemeinde verkaufte Produkteinheiten, statt über die neu entstehende iPod-Welt nach zu denken. In Karlsruhe wird in der 'Munitionsfabrik' der 90er-Installationskunst alle sechs Monate das letzte Jahrhundert in stets monumentaler werdenden Ausstellungen zu Grabe getragen, und jedes Mal ein großer Grabsteinkatalog oben drauf.

Und in Großbritannien, einst der vierte Hoffnungsträger einer europäischen Medienkultur, wurden mit Lotteriegeldern die Ruinen einer verfehlten Politik finanziert, in deren Nachbarschaft nun mit vernetztem Kleinklein mühsam aufgebaut werden muss, was vor Jahren für viel weniger Geld schon einmal vorhanden war.

Also, Wien, welcome to the club, pflege und verschmähe Dein kulturelles Erbe wie eh und je, rock me Amadeus, und lass Dich vom Surren der Computer und Kameraobjektive, von Systemabstürzen in intelligenten Häusern nicht aus der Ruhe bringen. Die Maschinenhungrigen, die Mediensüchtigen, die X-Boxer werden den Tempeln des Alten beizeiten den Garaus machen, denn in ihrem Teil der Wirklichkeit hat noch nie etwas, das tatsächlich bedeutsam ist - ein überwältigendes Abenteuer in einer virtuellen Welt, ein neuer, ungehörter Sound, eine Online-Gemeinschaft der Aufrechten - eine "institutionelle Förderung" erhalten, und mit dem Plunder der Vergangenheit werden sie auch diese Reliquie eines veralteten Kulturbegriffs einfach abschütteln. Wir werden in Kulturruinen leben, die nur noch für asiatische Touristen von irgendeinem Wert sein werden. Welcome to the club.